You are currently viewing In der Wüste

In der Wüste

Einem Tag der Ruhe folgt ein Tag des Wanderns.
Wir brechen recht früh auf. Schritt für Schritt tragen uns die Dromedare durch die Landschaften. Wir ziehen das Tal entlang, lassen den Berg in Form einer Tagine links liegen und kommen wieder auf ein Plateau. Steinebene. Said deutet mir bei niedrigen, mit Planen überdachten Steinverschlägen Halt zu machen. Ich bringe Sharif zum Stehen und sehe mich um. Schöne Weiten, schönes Raumgefühl. Wir sind am Rande eines Plateaus, neben uns ein Tal, dann erheben sich wieder Berge.
Said erklärt mir, er wäre hier aufgewachsen. Hier! Ich versuche diesen Ort noch mehr zu spüren.
Geboren ist Said im Sand der Dünen. Hier ist einer der Lagerplätze seiner Eltern, denn hier wächst immer wieder gutes Futter für die Tiere. Hier hat er als kleines Kind die Ziegen gehütet und mit ihnen gespielt.
Hier ist außer dieser Behausung nichts. Ohne Menschen ist hier nichts außer Stein und Raum.
Die Menschen bringen die Herden, beleben den Steinhaufen zu einem Haus, hüten ihre Ziegen, leben, lachen, kochen, bringen die Wärme.
Said hockt ruhig neben Bobo und sieht die Bilder seiner Kindheit. Ich sehe nur kalte Steine und Abfall.
Wir hatten gehofft, Saids Eltern hier zu treffen. Ich bin sehr neugierig auf die Gespräche, vor allem auf die mit seiner Mutter. Wie denn das Leben einer Nomadin aussieht, die elf Kinder in der Wüste alleine auf die Welt gebracht und großgezogen hat.
Diesmal leider nicht. Sie sind vor Kurzem weiter gezogen und wir wissen nicht, in welche Richtung. Ein anderes Mal, Inshallah. Auch wir ziehen weiter.
Die Steinlandschaft wandelt sich in eine sandige Steinebene.
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Wir haben heute fast dreißig km zu Fuß zurückgelegt und schlagen bei den ersten Dünen das Lager auf. Die Sonne geht mit Spektakel in pink-, hell- und dunkelazur unter.
Stille. Denn der Wind hat sich gelegt. Kein Ton. Über dem Tal, das wir hinter uns gelassen haben, geht ein Gewitter nieder. Aus der Ferne sieht das sehr schön und erhaben aus. Ich freue mich, nicht mitten darunter im nassen Zelt zu sitzen, in das langsam das Wasser eindringt und die toten Fliegen hinein schwemmt. Nass und klamm – und denke an die geführte Touristengruppe, deren Zeltaufbau wir genau dort im Vorbeigehen beobachtet haben.
Dunkelheit, Nacht, Stille. Der Mond geht auf. Venus zieht den Sternenhimmel hinter sich her und füllt damit den Horizont. Inzwischen liege ich auf dem Kamm der Düne und freue mich, dass ich so klug war, noch schnell den Pelz übergezogen zu haben. Die unendliche Weite der Sterne … und der Gedanken.
Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen bin. Nun wache ich auf. Der Sternenhimmel hat sich weitergedreht und die Nacht geht zu Ende. Ich habe wohl sehr tief und fest geschlafen. Ganze sechs Stunden. Mittlerweile bin ich tiefgefroren. Die Temperatur der Nacht in der Wüste sinkt mitunter auf 0° Celsius. Ich merke, wie das Blut in meinen Adern langsamer läuft, als wäre es dickflüssiger. Auch alles andere im Körper hat sich verlangsamt. Keine Schmerzen in zu kalten Gliedmaßen. Eine ganz eigenartige Müdigkeit drückt mich mit ganzer Kraft bleiern, doch süß und sanft nieder obwohl ich doch geschlafen habe. Dahinter fühle ich eine unerwartete Alarmbereitschaft im Körper. Mit einem Schlag wird mir klar, entweder ich zwinge mich jetzt in die Bewegung aufzustehen und Wärme in meine Glieder zu kriegen, oder ich werde hier erfrieren. Irgendwie schaffe ich es ins Zelt. Dort ist es zwar nicht wärmer aber es gibt Decken. Said schläft.
Als etwas Wärme angenehm in meinen Körper sickert dämmert mir eine Frage in meinen verlangsamten Gedanken: Warum hat Said mich nicht geweckt und ins Zelt geholt? Entweder ist er selbst sofort eingeschlafen und hat gar nicht gemerkt, dass ich nicht da war. Oder er verlässt sich einfach blind darauf, das mir kein Fehler passiert. Gefällt mir gar nicht. Doch der Schlaf hindert mich daran, mich zu ärgern. Die Kälte zehrt an meinen Kräften.

Kurze Zeit später geht die Sonne hinter der Düne auf. Mit Worten nicht zu beschreiben. Wir frühstücken „en Terrasse“ nach dieser kalten Nacht. Doch die Sonne verzieht sich wieder.
Wir brechen früh auf, denn das Wetter hat sich verschlechtert. Der Himmel versteckt sein Blau hinter bedrohlich wirkenden, stahlgrauen Regenwolken. Das Licht ist trüb und der Wind wird immer stärker. Außerdem wird es empfindlich kalt. Mit der Temperatur sinkt die Stimmung. So macht das weder Sinn noch Spaß. Said betrachtet den Himmel und achtet auf den Wind. Der Wind wird sich zu einem Sandsturm auswachsen, das weiß Said aus Erfahrung. Das ist nicht gut. Wir beraten uns. Said weiß auch, dass das Wetter einige Tage so unangenehm bleiben wird. Es könnte sich sogar noch verschlechtern. Tagelang peitschender Regen mit Sandststurm und Kälte sind die unangenehmen Seiten der Wüste im Winter. Noch sind wir hier recht weit weg von allem. Wir wagen die Herausforderung und beschließen unser Trekking wegen schlechtem Wetter abzubrechen! Das bedeutet aber, dass wir unter widrigen Bedingungen – schlechter Sicht, wenig Orientierungspunkten und zunehmendem Sturm – das Pensum von eineinhalb Tagen Wüstenmarsch in einem Tag schaffen wollen. Ich will! Said zum Glück auch. Es wird anstrengend. Aber wir wollen raus hier!

Schlechtes Wetter in der Wüste ist wenig lustig bis sehr unangenehm. Der Wind macht uns beide nervös und die Dromedare mühsam. Wir gehen und gehen und gehen. Inzwischen ist mein Sattel verrutscht und ich wundere mich, wo plötzlich die Rückenschmerzen herkommen. Der Husten macht die Sache auch nicht leichter, die Nacht auf der Düne war kalt. Wir machen kurze Pause. Mein Sattel wird gerichtet, wir gehen weiter. Ob ich nun auf eigenen Füßen gehe oder mir die des Dromedars borge, gehen bleibt gehen. Anstrengend.

Zunächst war der Sandsturm rechts von uns. Jetzt sind wir mitten drin. Wenig Sicht. Der Sandsturm nadelt in Böen über mein Gesicht. Irgendwie erreichen wir die kleinen Dünen. Tiefer Sand, keine gerade Fläche zum Gehen sondern ineinander fließende Dünen. Das bedeutet, dass man mit jedem Schritt etwas einsinkt und abrutscht. Das brausende Meer aus Sand mit hohen Wellen im Sandsturm. Nicht gut.

Ich folge Said die ondulierenden Dünenkämme entlang und bewundere ihn, mit welcher Sicherheit er stapfend den Weg durch den Sand findet. Irgendwann ist die Dünenlandschaft hinter uns und Said sieht sich ratlos um…. „Sind wir nicht vorher schon hier vorbeigekommen?“
Diese mit ruhiger Stimme gestellte Frage wirft mich fast aus dem Sattel. Said hat sich verirrt?!? Kann nicht sein! Ich verirre mich ungern in der Wüste , schon gar nicht während eines Sandsturms.

Meine ebenso ruhig gestellte Gegenfrage: „ Was, wen wir außen um die kleinen Dünen herumgehen und sie erst dann queren, wenn wir einen Orientierungspunkt gefunden haben?“
Said sagt nichts und geht einfach weiter. Ich folge ihm. Meine insgeheime Vorfreude auf eine heiße Dusche am Abend verliert sich im kalten Wind. Wir gehen weiter.

Mir ist kalt. Said telefoniert. „Fragst Du nach dem Weg?“

„Nein, ich sage gerade das Taxi ab, das uns von M ́Hamid nach Zagora zurückbringen sollte.“ Die heiße Dusche ist hiermit gestorben.
Es wird noch etwas dunkler. Schwere Wolken sind aufgezogen. Wir gehen weiter.
„Wollen wir nicht einfach hier über Nacht bleiben?“ frage ich müde und verzweifelt.

„Nein“
Auch gut. Ich will nur raus hier. Kaum Sicht. Der Boden verändert sich, wird wieder steiniger. Plötzlich tauchen Erhebungen auf. Saids Gesicht erstrahlt.
„Ach hier sind wir! Bei den alten Steingräbern.“
Vor uns sind etwa 150 bis 200 Jahre alte Grabhügel aufgetaucht. Trotz aller Müdigkeit bin ich voller Ehrfurcht und Neugier.
„Solange ich den Boden unter meinen Füßen erkennen kann, finde ich aus der Wüste raus“
Ich murmle „Hoffentlich“ und folge ihm. Wir gehen weiter. Weiter außen an den kleinen Dünen entlang. Sharif ist müde und hungrig. Ich auch.
„Hey, sieh mal da vorne! Was siehst Du?“
„Nichts“ antworte ich düster.
„Doch! Siehst du nicht die Antenne?“
Kaum. Doch wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man einen sehr zarten Strich zwischen zu viel Sand. Das ist die Antenne von M ́Hamid. Wow! Wir sind gerettet.
Hiermit haben wir den wichtigsten Orientierungspunkt. Bloß kommt er nicht und nicht näher.
Wir gehen und gehen und gehen … Düne rauf, Düne runter. Es wird nicht kürzer.
Ich höre auf zu hadern und finde mich damit ab, dass ich jeden einzelnen Schritt bis M ́Hamid selbst werde gehen müssen. Kein Schnitt möglich. Irgendwann, nach gefühlten drei Tagen, kommen wir an.
Das Taxi rollt uns entgegen. Ich bin völlig k.o und freue mich mit dem letzten Rest meiner Energie. Wir haben heute mehr als 50 km zu Fuß zurückgelegt.
Wir verstauen unsere Sachen im Taxi und fahren ab nach Zagora. HEISZE DUSCHE! Etwa eine Stunde lang purer Genuss. Ich gehe ohne Sand schlafen. In ein weiches, sauberes, warmes Bett.